|
Editorial |
|
|
|
© Eric Marinitsch | Universal Edition |
|
Arvo Pärt begeistert als zeitgenössischer klassischer Komponist mit seiner unverwechselbar seelenvollen Musik wie niemand sonst. Erstmals sind auf diesem Album alle Werke Pärts zu hören, die in Transkriptionen für Saxophon-Quarte existieren – sie werden sozusagen ohne Worte, »nur« mit dem Atem, in schwingenden Luftsäulen zum Vorschein gebracht. Das italienische Alea Saxophone Quartet tut dies in herausragender Art und Weise. Schon Hector Berlioz schwärmte für den Klang des damals noch jungen Saxophons, verglich ihn mit den »geheimnisvollen Vibrationen einer angeschlagenen Glocke«. Das führt uns direkt zum einizigartigen Kompositionsstil Arvo Pärts, auch Tintinnabuli genannt, lateinisch: Glöckchen. Und weil wir gerade beim Lateinischen sind: »Anima« heißt: Atem, Luft, Seele, Geist –
|
|
First Listener’s Notes |
|
»... wie ein reinigendes Seelenbad« Zu Arvo Pärts Tinntinabuli-Stil
Von Leo Brauneiss
Wenn man im Roman Doktor Faustus von Thomas Mann über Musik liest, »es liege im Wesen dieser seltsamen Kunst, dass sie jeden Augenblick imstande sei, von vorn zu beginnen, (...) sich neu zu entdecken und wieder zu erzeugen« und dabei »einsam und unbelauscht von der Welt wunderliche Höhen absonderlichster Schönheit« erreichen könne, so mutet dies nachgerade wie eine Vorwegnahme des von Arvo Pärt selbst so bezeichneten Tintinnabuli-Stils an: Nach der Abwendung von der Nachkriegsavantgarde, deren eifriger Verfechter Pärt im schwierigen Terrain der Sowjetunion war, und nach Jahren des Suchens, die 1968 begannen, bedeutet die Entfaltung dieses Stils seit 1976 nicht nur einen persönlichen, sondern auch einen grundsätzlichen Neubeginn, einen Wiederaufbau der Musik aus elementaren Bausteinen nach dem ästhetischen Ideal der grenzenlosen Entfesselung in der vorangegangenen Avantgarde. Mann spricht selbst ausführlich vom Dreiklang als einem dieser Elemente und legt Anton Bruckner das Zitat in den Mund, Dreiklänge seien »wie ein reinigendes Seelenbad«. Nahtlos fügt sich hier eine Notiz aus den Arbeitsheften Pärts an, die die ästhetische Kehrtwende von der avantgardistischen Tabuisierung des Dreiklangs zu seiner Renaissance in aller Deutlichkeit zur Sprache bringt: »Am Dreiklang fasziniert mich seine natürliche Reinheit (...) und sein Wohlklang.« In den allermeisten Kompositionen Pärts ist der elementare Dreiklang in einer Stimme allgegenwärtig, die nur aus den Tönen eines einzigen Dreiklangs besteht und wie das Geläut von im Dreiklang gestimmten Glocken das gesamte Werk oder weite Teile davon durchzieht – daher die Bezeichnung Tintinnabuli-Stimme (tintinnabulum = lat. Glöckchen) und davon abgeleitet der Begriff Tintinnabuli-Stil. [...]
|
|
Artist’s Notes |
|
Saxophone und Spiritualität: eine Herausforderung?
Von Gianpaolo Antongirolami
Ein herausragendes Merkmal der Musik von Arvo Pärt ist, dass sie sowohl vokal als auch instrumental aufgeführt werden kann und somit jeweils neue Ausdrucksweisen ermöglicht, ohne dadurch Sinn und Charakter der Komposition zu beeinträchtigen. In der Tat tritt die der Poetik Pärts innewohnende spirituelle Reinheit in jeder der zahlreichen Versionen seiner Werke klar hervor. Aus diesem Grund hat mich die Idee fasziniert, Musik von einer solch tiefen Innerlichkeit mit Saxophonen aufzuführen, also mit Instrumenten, die im kollektiven Bewusstsein bis heute sehr stark mit Musikrichtungen wie Jazz, Pop oder jedenfalls mit Klangerfahrungen verknüpft sind, die als oberflächlich und laut wahrgenommen werden.
Arvo Pärt hat die Richtung selbst vorgegeben, indem er Quartett-Versionen für Saxophon von Summa (1977/2009) und Da pacem Domine (2004/2009) schuf. Im Jahr 2015, als Pärt 80 Jahre alt wurde, erfuhr ich, dass der Komponist weitere Versionen für dieses Instrument geschrieben hatte. Dies ermutigte mich, mein schon seit längerer Zeit gehegtes Vorhaben in die Tat umzusetzen und eigene Bearbeitungen einiger seiner Werke, die ich besonders schätze, vorzunehmen. Pärt befand meine Transkriptionen von Magni cat (1989), My heart’s in the Highlands (2000) und Psalom (1985) für gut und nahm sie mit Wohlwollen auf. In der Zwischenzeit waren seine Saxophonquartett-Versionen von Fratres (1977/2015), Pari intervallo (1976/2015) und Solfeggio (1963/2015) veröffentlicht worden. [...] |
|
About: Alea Saxophone Quartet |
|
2006 gründeten Gianpaolo Antongirolami, Roberto Micarelli, Luca Mora und Gabriele Giampaoletti nach 30 Jahren Erfahrung in verschiedensten Saxophon-Ensembles das Alea Saxophone Quartet. Der Schwerpunkt des Quartett s lag zunächst in der französischen Musik vom Anfang des 20. Jahrhunderts und in den Überschneidungen von Jazz und Klassik. Heute dagegen widmen sich die vier Musiker einem breiten Repertoire an zeitgenössischer Musik.
Das Alea Saxophone Quartet setzt sich minutiös mit den Werken der wichtigsten europäischen und amerikanischen Komponisten der zweiten Hälfte des 20. sowie des 21. Jahrhunderts auseinander – u. a. Sciarrino, Donatoni, Xenakis, Andriessen, Cage, Riley, Nyman, Reich, Glass, Lang, Fitkin, Torke – und führt deren Werke bei spezifischen Festivals auf. Erwähnenswert ist die Teilnahme an den Feierlichkeiten zum 400. Jahrestag der Geburt von Carlo Gesualdo da Venosa, wo das Alea Saxophone Quartet die Sammlung Pagine von Salvatore Sciarrino aufführte. Zahlreiche Auftritte des Quartetts (u. a. auf dem Festival für Neue Musik in Macerata) wurden von RAI Radio 3 aufgezeichnet und ausgestrahlt.
Ein wichtiger Meilenstein für den künstlerischen Werdegang des Saxophon-Quartetts ist das monographische Projekt zu Arvo Pärt. 2015, anlässlich des 80. Geburtstags von Pärt, führte das Alea Saxophone Quartet sämtliche Kompositionen für Saxophon-Quartett des estländischen Komponisten in einer Reihe von Konzerten in Italien auf. Im Rahmen der 70. Ausgabe der »Sagra Musicale Umbra« wurden sechs der acht Werke uraufgeführt.
Die Mitglieder des Alea Saxophone Quartet sind darüber hinaus auch solistisch sehr aktiv – mit Au ritten in Italien, Österreich, Deutschland, Frankreich, Kroatien, der Schweiz, England, Spanien, Rumänien, Israel und den USA. Sie haben u. a. mit Terry Riley, Butch Morris, Mike Svoboda, Garth Knox, Arno Bornkamp, Horacio Vaggione, Giancarlo Schiaffini, Stefano Scodanibbio, Otis Murphy, Roberto Fabbriciani, Alvise Vidolin, Michele Lo Muto, Matteo Cesari, Daniele Roccato und Marcus Weiss zusammengearbeitet. Zudem haben die Musiker zahlreiche Tonträger eingespielt, und ihre Konzerte wurden von nationalen Radio- und Fernsehanstalten aufgezeichnet. Als Solisten wirkten sie in folgenden Symphonieorchestern mit: Orchestra Sinfonica della RAI di Torino, Orchestra del Teatro La Fenice di Venezia, Orchestra I Pomeriggi Musicali di Mi- lano, Orchestra del Teatro Lirico di Cagliari, Orchestra Filarmonica Marchigiana, Orchestra Sinfonica di Bari, Orchestra Internazionale d’Italia, Haydn Orchester von Trient und Bozen, Orchestre National Bordeaux-Aquitaine, Staatsorchester von Oradea/Rumänien.
Alle Mitglieder des Alea Saxophone Quartet sind als Lehrende an verschiedenen Konservatorien tätig. Als Dozenten für Saxophon halten Sie darüber hinaus regelmäßig Weiterbildungs- und Meisterkurse in Italien und anderen europäischen Ländern, u. a. an der Keele University und der University of Edinburgh (UK), an der Hochschule für Musik Freiburg (D) und am Mozarteum in Salzburg (A).
+ Gianpaolo Antongirolami, soprano saxophone + Roberto Micarelli, alto saxophone + Luca Mora, tenor saxophone + Gabriele Giampaoletti, baritone saxophone
|
|
About: Arvo Pärt |
|
Arvo Pärt wurde im Jahre 1935 in Paide (Estland) geboren. Nach seinem Studium in der Kompositionsklasse von Heino Eller in Tallinn arbeitete er von 1958 bis 1967 als Tonmeister beim estnischen Rundfunk. 1980 emigrierte er mit seiner Familie nach Wien und ging dann ein Jahr später als Stipendiat des DAAD nach Berlin. Heute lebt er in Estland.
Als einer der radikalsten Vertreter der sogenannten sowjetischen Avantgarde durchlebte Pärts Werk eine tiefe Evolution. Seine erste Schaffensperiode begann mit neoklassizistischer Klaviermusik. Danach folgten zehn Jahre, in denen er auf eigenständige Weise die wichtigsten Kompositionstechniken der Avantgarde – Dodekaphonie, Klangflächenkomposition, Aleatorik, Collage-Technik – anwandte. Nekrolog (1960), das erste dodekaphonische Werk in der estnischen Musik und Perpetuum mobile (1963) brachten dem Komponisten erste Anerkennung im Westen. In seinen Collage-Werken stehen sich avantgardistische und alte Musik schroff und unversöhnlich gegenüber, diese Konfrontation steigert sich in seinem letzten Collage-Werk Credo (1968) bis zum Äußersten.
Von da an waren alle seine bisherigen kompositionstechnischen Mittel für Pärt inhaltslos geworden, sie hatten für ihn jegliche Anziehungskraft verloren. Die Suche nach seiner eigenen Stimme treibt ihn in einen beinahe acht Jahre dauernden, schöpferischen Rückzug, während dessen er sich mit dem Gregorianischen Choral, der Schule von Notre Dame und der klassischen Vokalpolyphonie auseinander setzt.
1976 erhebt sich Musik aus dem Schweigen – das kleine Klavierstück Für Alina. Es ist offenkundig, dass Pärt mit diesem Stück zu sich gefunden hatte. Das neue kompositorische Prinzip, das er darin erstmals anwendete und »Tintinnabuli« (lat. Glöckchen) nannte, bestimmt sein Werk bis heute. Das Tintinnabuli-Prinzip strebt nicht nach einer progressiv anwachsenden Komplexität, sondern nach äußerster Reduktion des Klangmaterials und Beschränkung auf das Wesentliche.
|
1CD | Instrumental | Ensemble | Contemporary | PRIME colors Edition |
|
|
|
Empfehlung |
|
|
|
In der Manier des Deep Listening beschäftigt sich Maja Osojnik in ihrem Album mit der unwillkürlichen Natur des Hörens und der bewussten Natur des Zuhörens. |
|
|
|
|
Quiet Riots ist das Ergebnis einer langjährigen Freundschaft. Peter Herbert und Wolfgang Mitterer (endlich) im Duo! |
|
|
|
|
Mit short stories präsentieren wir in Kooperation mit dem Klangforum Wien das Porträt-Album von Christof Ressi, Träger des Erste Bank Kompositionspreis 2021. |
|
|