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Schatten werfen – Zeynep Gedizlioglu |
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Eine rasch auffahrende Geste des Klaviers und ihr leiser Nachhall in den anderen Instrumenten; ein Akkord der verlischt, in seinen Umrissen aber stehen bleibt, bis eine neue Geste, ein neuer Nachhall ihn überlagern – ähnlich wie das Ensemblewerk Yol („Der Weg“) beginnen auch andere Stücke Zeynep Gedizlioglus. Die Folge von Impuls und Nachklang fungiert für die Komponistin als ein zentrales dramaturgisches und formales Prinzip ihrer Musik. Dabei nimmt einerseits die starke Gebärde, die oft geradezu physische Attacke der Eröffnung gefangen, mit der man als Zuhörer konfrontiert wird. Andererseits spannt sich im Schatten dieser Ereignisse ein Raum auf, der mit gutem Grund als das Eigentliche des kompositorischen Zugriffs angesehen werden kann. Verdichtungen und Überlagerungen bereiten sich in ihm vor, gestaffelte Anläufe im Wechsel von Aktivität und nachhorchendem Innehalten wie in Susma („Schweige nicht“) von 2007, dem zweiten Streichquartett Zeynep Gedizlioglus. Und es ist gleichermaßen dem Aussagewillen der Komponistin (das Stück ist der Erinnerung an den 2007 ermordeten Journalisten Hrant Dink gewidmet) wie den Gestaltungsspielräumen solchen Verfahrens geschuldet, dass in diesem Werk das Verhältnis von Auslöser und Ausgelöstem, von explosiver Gebärde und statischem Klang sich umkehrt. Ab etwa der Hälfte des Stückes ballen sich zunehmend aufgeraute Flächen zu Figuren mit definierter Bewegungsrichtung zusammen, ähnlich denen, die bislang die stehenden Klänge des komponierten Nachhalls aus sich entließen: Was Schatten wirft, ist selber nichts als Schatten, was scheinbar solide Figur, nur von angenommener Festigkeit. Auf ein solches Spiel mit Nicht-Identitäten verweisen Stücke wie Dengesiz Denklemler / Unequal Equations (2006) für Klarinette und Violoncello bereits im Titel; es bestimmt aber auch andere Werke bis ins Detail. In Akdenizli (The Mediterranean) für Violine, Viola und Klavier (2007), wie auch im schon erwähnten 2. Streichquartett Susma überlagern sich rhythmische und ornamentale Varianten desselben Motivs und erzeugen dadurch eine Heterophonie, die traditionellen Musikformen abgehört sein mag, die darüber hinaus aber die Ränder der jeweiligen Figur verwischt, ohne ihre Unterscheidbarkeit vollständig aufzugeben. Und dass diese Addition von Ähnlichem sich nicht auf die Horizontale der zeitlich-rhythmischen Abfolge beschränken muss, demonstriert Kesik (Cut) für 12 Instrumente (2010), wo ganze Melodiezüge in der Vertikalen vervielfacht werden, eingebunden in eine konzertante, Register, Soli und Instrumentengruppen kontrastierende Gesamtanlage. Hier wie dort ist das Ergebnis frappierend: ein präzise auskomponiertes Ungefähr, Genauigkeit ohne Zwang, Vielstimmigkeit ohne diffus zu werden. Die Musik Zeynep Gedzlioglus erscheint so als nachdrückliches Plädoyer für den Wert des Heterogenen und der individuellen Differenz. Markus Böggemann |
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Photo: Manu Theobald © Ernst von Siemens Musikstiftung |
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Susma – Schweige nicht / Streichquartett No.2 (2007) In Memoriam Hrant Dink Arditti Quartet Irvine Arditti, Ashot Sarkissjan (Violine), Ralf Ehlers (Viola) und Lucas Fels (Violoncello) Akdenizli – Der Mediterraner (2007) für Halim für Violine, Viola und Klavier Michael Dinnebier (Violine), Hendrik Vornhusen (Viola) und Julia Vogelsänger (Klavier) Yol – Der Weg (2005) für Klarinette, Vibraphon, Violine, Violoncello und Klavier Anton Hollich (Klarinette), Jochen Schorer (Vibraphon), Catherina Lendle (Violine), Gabriele Maiguashca (Violoncello) und Julia Vogelsänger (Klavier), Leitung: Frank Düpree Ungleiche Gleichungen (2006) für Klarinette und Violoncello Anton Hollich (Klarinette) und Markus Tillier (Violoncello) Dialogo a tre (2005) für Blockflöte, Violine und Cembalo Barbara Neumeier (Blockflöte), Michael Dartsch (Violine) und Lutz Gillmann (Cembalo) Die Wand Entlang (2008) für Klavier Julia Vogelsänger (Klavier) Wenn Du mich hörst, klopf zweimal (2009) für Sopran und Streichquartett Sarah Maria Sun (Sopran), Arditti Quartet Kesik (Schnitt) (2008) für 12 Instrumente Ensemble Modern, Leitung: Franck Ollu |
1CD | Instrumental | Contemporary | Ernst von Siemens Musikstiftung |
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Empfehlung |
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Erst nach einer angedeuteten Reprise des Beginns setzt die finale Steigerung ein. Entspannte und hoch erregte Momente finden zu einer neuen Balance. |
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Hèctor Parra Caressant l’Horizon |
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Zeremonien hüten auch ihre Momente der Stille: Christian Mason. |
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