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Editor’s Note |
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Noch einmal eintauchen in die Welt Franz Schuberts, mit Sturm und Drang Lieder komponieren von Liebessehnsucht und Weltenschmerz – Wolfgang Mitterer hat im Auftrag des Festivals Klangspuren in Schwaz/Tirol Schubert nachgedichtet. Nun fegt sein Liederzyklus für Bariton, präpariertes Klavier und Electronics auch von einer CD. Natürlich weht Im Sturm die Ironie und eine heute gebrochene Erfahrung mit romantischem Liedgut mit. Aber es geht auch und besonders um echte Gefühle: empfunden von einem Komponisten, der voller Leidenschaften in die Tasten und Computerregler greift; gesungen von einem Bariton, Georg Nigl, dem keine Schubertsche Melodielinie fremd ist und der ebenso die Erfahrung eines Wozzeck von Alban Berg, den er auch an der Mailänder Scala gesungen hat, in die breite Emotionsskala von Mitterers Liedern einbringt. |
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Lineup |
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Georg Nigl, baritone Wolfgang Mitterer, prepared piano and electronics |
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First Listener’s Notes |
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Von Eberhard Petschinka
UND der komponist sagt: »ich wollte gern diese alte form des liedes mit klavierbegleitung vom dachboden des 19. jahrhunderts herunterholen den staub & die vorurteile abwischen um zu sehen ob der alte glanz noch einmal aufpoliert werden kann ob sich das alte lyrische element mit der musik der raketenabwehrsysteme der grossen klär- und abhöranlagen der hochgeschwindigkeitszüge & -gefühle verbinden verzahnen & verstören lässt«
UND romantische sätze UND eine liebeskantilene UND ein wiegenlied UND eine aufforderung zum tanz UND ein schrei
UND der sänger sagt: »eine dekonstruktion / eine auflösung das lyrische belcanteske singen wird von einem sturm weggetrieben«
UND ein netz von klängen wird aufgespannt in dem der sänger herumspaziert wie keanu reeves in matrix in dem er seine räder & kapriolen schlägt wie ein surrealer akrobat aus dem ballet russe
UND seine stimme bewegt sich auf zehenspitzen voran als wäre da ein seil gespannt zwischen winterreise & massacre & ich zücke mein opernglas & sehe: da ist kein seil & ich begreife: die einzige verbindung zwischen diesen beiden türmen ist die eleganz ist das gefühl ist die störrische & zugleich unerschütterbare sehnsucht [...]
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About |
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Wolfgang Mitterer
Im Alter von sechs Jahren hat Wolfgang Mitterer auf einer mechanischen Orgel in seinem Heimatort Assling in Osttirol die erste Messe gespielt. Die Orgel blieb bis heute sein Hauptinstrument, die Improvisation als eine wesentliche Praxis des Organisten bestimmte seine musikalische Entwicklung. Sei es als Komponist oder ausführender Musiker: Immer verbindet sich das aus dem Moment heraus Geborene mit einer präzisen Struktur. Die Herausforderung des Unerwarteten erwartet Wolfgang Mitterer als Musizierhaltung auch von allen, die seine Partituren umsetzen.
Der in Innsbruck, Wien (Hochschule für Musik) und Stockholm (Elektronisches Musikstudio) ausgebildete Musiker arbeitet als Komponist und Interpret meistens mit neuen Klängen und rhythmischen Schichten. Die Musik des Zufalls und die Chaosforschung könnte man als Schlagworte mit Mitterers Schaffen in Verbindung bringen. Aus nicht versiegenden Aufträgen entstand ein auf mehrere Hundert Werke angewachsenes Œuvre. Die einzige Konstante darin ist das immer Neue. Aus Mitterers Musik sprechen die Lust des Entdeckens, die Sinnlichkeit des Abenteuers und die Unvorhersehbarkeit der Existenz.
Traditionelles Instrumentarium wird präpariert und in vollkommen neuen Klangmöglichkeiten eingesetzt. Die Vermischung mit elektronischen Klängen und Strukturen und die Arbeit auch im tontechnischen Bereich ist dem Komponisten und ausübenden Musiker in einer Zeit fast grenzenloser Technisierung eine Selbstverständlichkeit. Die CD »Im Sturm« ist ein Ergebnis eines solchen Mitterer’schen »Gesamtkunstwerks«, das von der Erfindung der Töne bis zur Aufnahme und der mischtechnischen Fertigstellung im eigenen Studio reicht. Die Nachempfindung der verstörten und verstörenden Schubert’schen Liederwelt wird durch leichte Verschiebungen, die Verunklarung des romantischen Charakters durch eine mehrschichtige Bespielung des Klaviers und der Zuhilfenahme von Elektronik erreicht.
Mitterer gewinnt die Musik aus allem, was ihn in der Welt klingend umgibt. Ob Naturklänge (Tierlaute, Jagdgeräusche etc.) oder Alltagsklänge (Mopeds, Fußballfans, Staubsauger usw.) – es wird in einen musikalischen Zusammenhang gebracht. Mitterer macht und erfindet Musik in allen erdenklichen Genres und Bereichen: Orgelsolostücke, Jazztrios, Beinahe-Ethno-Musik mit einem Shakuhachi-Spieler, Open-Air-Performances mit Hackbrettspielern, Holzarbeitern und Dialektsprechern, Musik für Zeichentrickfilme und Stummfilme, Hörspiele, Bühnen- und Theatermusiken, Pop-Songs, Opern für Kinder und Erwachsene, Orchesterstücke und massenkommunikative Projekte für Tausende Choristen oder Legionen von Blasmusikern. Dabei reizen ihn die Öffnung eines musikalischen Werkes zugunsten der Anteilnahme der beteiligten Musiker und die Mischung aus Elektronik (oft auch live generiert) und selbst- klingendem Instrumentarium oder Vokalem. Vom Barockorchester bis zu Experimentalmusikern reicht die Palette der Ausführenden von Mitterers Musik, und dies bei den wichtigsten Festivals und Veranstaltern wie Donaueschingen (Konzert für Klavier, Orchester und electronics), den Wiener Festwochen (Uraufführung der Oper »Massacre« nach Christopher Marlowe), den Inventionen Berlin (»labyrinth 4« für electronics), Wien Modern (u. a. Stummfilmmusik zu Murnaus »Nosferatu«), den Tiroler Festspielen Erl (»horizontal noise« für Waldarbeiter, Blaskapelle, Kinder, Frauen, Moped, Darsteller, 3 Soprane und 19-Kanal-Zuspielungen), der Philharmonie Köln (Orgelkonzerte), dem Züricher Theaterspektakel (Modeschau »Bienen«), dem Serapionstheater, der Wiener Taschenoper (Kinderoper »Das tapfere Schneiderlein«) oder dem steirischen herbst (Musiktheater »white foam« mit La fura dels baus). Ensemble Modern Frankfurt, Klangforum Wien, SWR-Chor Stuttgart, Remix Porto und viele weitere renommierte Ensembles führten Mitterers Musik auf. Die Auszeichnungen reichen vom Preis der Stadt Wien für Kunst bis zum Prix Europe.
Georg Nigl (*1972)
Georg Nigl war als Sopransolist der Wiener Sängerknaben bereits im Kindesalter eng mit der Musik besonders der Wiener Klassik vertraut. Die Entwicklung zum Sänger war nach dem Stimmbruch für den Bariton, der bei Kammersängerin Hilde Zadek an der Hochschule für Musik in Wien studierte, vorgegeben. Sehr bald vergrößerte Georg Nigl die Spannbreite der Musik, mit der er sich auseinandersetzte. Heute gilt der Bariton im internationalen Musikleben gleichermaßen als Spezialist für Alte Musik wie als besonders profilierter Interpret Neuer Musik, tritt aber auch regelmäßig in Werken des späten 18. und des 19. Jahrhunderts sowie der klassischen Moderne in Erscheinung.
Fragt man ihn nach seinen Lieblingspartien in der Oper, nennt Georg Nigl ohne Zögern drei: Monteverdis Orfeo, Mozarts Papageno und Bergs Wozzeck, Menschenfiguren also, die eine Gebrochenheit in sich haben. Das Vermögen, bestimmten Partien ihren ganz spezifischen Charakter in der Stimme und im Ausdruck zu verleihen, machen maßgeblich die Präsenz Georg Nigls auf den wichtigen Opernbühnen wie der Mailänder Scala, der Staatsoper Unter den Linden Berlin, dem Théâtre de la Monnaie in Brüssel, den Salzburger Festspielen und den Wiener Festwochen aus. Dabei wird zusätzlich zur gesanglichen auch die darstellerische Leistung des Sängers, dessen außerordentliche schauspielerische Begabung ihn zwischenzeitlich an das Wiener Burgtheater führte, hervorgehoben. So rühmte etwa die italienische Tageszeitung La Repubblica seine Darstellung des Wozzeck als »sehr menschlich und markant sowohl im Wort als auch im starken Ausdruck«. Durch die Musik wie gleichermaßen durch den Text fühlt sich der Sänger Georg Nigl in all seinen Repertoirebereichen in einen Zustand versetzt, gar nicht anders zu können, als zu singen. Die Gesangslinie als unterstützende Funktion des Textes ist für ihn die Schnittstelle aller Stile und Arten der Musik. Besondere Anerkennung verschuf sich der Sänger mit der Gestaltung von neuen Opernpartien wie den Titelfiguren in Pascal Dusapins »Faustus the last Night« und Wolfgang Rihms »Jacob Lenz«. Georg Nigl arbeitet auf der Opernbühne regelmäßig mit Regiepersönlichkeiten wie Andrea Breth, Frank Castorf, Jürgen Flimm und Peter Mussbach zusammen. In der Oper wie im Konzert singt er unter der Leitung renommierter Dirigenten wie Daniel Barenboim, Daniele Gatti, Nikolaus Harnoncourt, René Jacobs, T homas Hengelbrock und Giovanni Antonini.
In der Interpretation von Neuer Musik achtet der Sänger darauf, sich in der beinahe unüberschaubaren Vielfalt von Komponistensprachen auf einige wenige zu konzentrieren, wie etwa von Georg Friedrich Haas (Gefangener in der Oper»Die schöne Wunde«), Olga Neuwirth (Eddy in der Oper »Lost Highway«) und von Wolfgang Mitterer. Ihn bat Nigl, etwas für die in der zeitgenössischen Musik kaum mehr berücksichtigte Besetzung von Stimme mit Klavierbegleitung zu schreiben. Auf diese Weise entstand »Im Sturm«. Die neue und ungewöhnliche musikalische Textur, die extreme stimmtechnische Anforderungen stellt, realisiert der Bariton durchaus im belkantesken Stil. Durch zwei Abschnitte mit Improvisation gewinnt Nigl außerdem neue Erfahrungen in einer Musizierart dazu, die seit der Barockzeit im vokalen Bereich verkümmert ist. Der Bariton legt besonderen Wert auf die Information, dass seine Stimme in der CD-Aufnahme immer seine ursprüngliche Stimme ist und nie auch nur im Geringsten elektronisch verändert wurde. Die intensive und fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Musiker Wolfgang Mitterer setzt Georg Nigl mit einem Projekt im Wiener Konzerthaus mit der Aufführung der Kantaten von Bach fort.
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1CD | Vocal | Lied | Contemporary | PRIME colors Edition |
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Empfehlung |
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Der „Teufelsorganist“ in voller Aktion: Wolfgang Mitterer sollte man irgendwann live erlebt haben – sonst kennt man die „Königin der Instrumente“ eigentlich nicht. |
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Mitterer: Komponist für Oper, Konzert und Film, 2 mal mit dem Öster. Filmmusikpreis prämiert - veröffentlicht „vorläufige“ Musik, die testweise unter einen Film gelegt werden könnte... |
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